ERASMUS+ in Riga Lettland vom 03.06. bis 08.06.2016

 

Mit dem Projekt BBS NI "focus your future" haben Heiner Lüpkemann und Georg Richter das Ethnographische Museum besucht. Hier ist der Bericht:

 

Lettland – Lebens- und liebenswert

 

Unsere Anreise erfolgte recht einfach und schnell mit der Ryanair Airline ab Bremen. Schon nach etwas mehr als einer Stunde landeten wir in Riga. Für die Fahrt zu unserem Hotel nahmen wir uns ein Taxi. Für unsere Gast-Zeit in der Stadt hatten wir uns ein Zimmer im Radisson Blu Daugava Hotel genommen. Als Aufgabe für die Zeit in der Stadt hatten wir vor weitere Kontakte zu knüpfen und zu schauen, welche Berufe noch geeignet sind im Austausch des ERASMUS+ Mobilitäts-Programmes und welche Kompetenzen während der Lehraufenthalte von den Auszubildenden erreicht werden können.

 

Nach Anreise und Check In am Freitag machten wir uns auf in die Stadt, um die Umgebung kennenzulernen und zu besprechen, wie sich der Ablauf unseres Besuches gestalten sollte. Als Reisemittel nahmen wir, wie alle weiteren Tage, den Bus. Dies ist in Riga die einfachste und bequemste Art zu reisen. Ein Ticket für fünf Tage Nutzung von Straßenbahn, Bus oder Schienenbus kostet nur knapp 14 Euro und die nächste Haltestelle ist meist in Sichtweite. Auffallend für die größte Stadt und Ballungsraum des Baltikums mit mehr als 700.000 Einwohnern ist, dass es relativ wenig Autoverkehr gibt - eher rush hour einer deutschen Mittelstadt. Riga ist nicht nur die Hauptstadt Lettlands, sondern auch politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Landes. Die alte Hansestadt von 1225 ist berühmt für ihre Jugendstilbauten, ihre großzügige Anlage sowie die gut erhaltene Innen- und Altstadt. Wer genau hinschaut, entdeckt viele Einflüsse verschiedener Länder aus der Hansezeit – darunter auch in der Nähe eines Weserrenaissance Baues - die Bremer Stadtmusikanten. Es ist alles in allem eine wachsende Stadt am Puls der Zeit, die zwar sehr alt ist aber auch auffallend sauber - wie alles in Lettland. Auch die Letten selber gehen - wie ich lernte - immer ordentlich und sauber gekleidet aus dem Haus. Bei der Besichtigung der Altstadt und ihrer Sehenswürdigkeiten an diesem Abend wurde anhand der Bauten und Denkmäler nochmals klar, dass es zwischen den Deutschen Hansestädten und Riga eine alte und gewachsene Verbindung bis in das letzte Jahrhundert gab. Immer wieder fallen dem interessierten Betrachter dabei viele deutsche Gräber in den Kirchen und andere Bauten auf.
 
Für Samstagmorgen hatten wir uns mit Martin Kupplais, dem ethnographischen Leiter des Museums, verabredet. Bei der Erkundung am diesem Tag stand neben der großen Neugier auf das 87 Hektar große Freilicht Museum von 1924, für uns im Vordergrund mal genau hinzuschauen, welche Auszubildenden aus was für Berufen für eine Entsendung geeignet sind und welche Berufe hier eigentlich bei einem Restaurator miteinander verschmelzen. Schon bei der Besichtigung der ersten Hofstellen von den etwa 118 verschiedenen Gebäuden aus der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum 20. Jahrhundert wurde klar, dass hier ein fachlich übergreifendes Fachwissen für die Restauratoren und eine genaue Zusammenarbeit notwendig sind. Denn hier ist alles eine Ausstellung - vom Gebäude bis hin zum kleinsten Inventarstück, das die Entwicklung der heutigen vier und ehemals fünf Volksgruppen Lettlands und deren alltägliche Lebensweise über mehrere Jahrhunderte genau darstellen sollen. Man bekommt automatisch ein Gefühl für erlebbare Geschichte zum Anfassen. Hier wird nun auch deutlich, dass sich eine perfekte handwerkliche Arbeit unauffällig in das Gesamtbild einfügt, ohne dass der Betrachter die kleinen Ausbesserungen bemerkt. In diesem größten Ethnographischen Museum Europas sind auch passend die Gebäude der Volksgruppen nach geographischer Zugehörigkeit zu Wasser, Gebirge und Flachland eingeordnet, damit alles authentisch für sich wirken kann.
 
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Bei dieser ersten kleinen Einführungs-Erkundung unterstützten wir den Ethnographen dabei die Windmühlen zu inspizieren und dabei zu schauen, inwieweit diese intakt sind und welche Bereiche den Besuchern zugänglich gemacht werden können an diesem Marktwochenende. Bei diesen Arbeiten konnten wir alle unser handwerkliches Fachwissen wunderbar einbringen und dabei war Herr Richter auch ein guter Partner für Herrn Kupplais, da er selbst eine alte Mühle besitzt und diese renoviert.
 
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Am Sonntag setzten wir dann unsere Zusammenarbeit mit dem Ethnographen im Museum fort. Wir besuchten mit Ihm einige besondere Gebäude und als Highlight eine sechsflügelige Windmühle. Hierbei staunten wir nicht nur über die aufwendige Konstruktion, sondern auch über die Nutzung der verschiedenen Ebenen dieser Mühle. Wir achteten dabei nicht nur auf den Gesamtzustand der Bauwerke sondern auch genau auf die mechanischen Details für den Betrieb. Hier waren einige Handgriffe nötig, um den festen Sitz von Schrauben und Hölzern zu überprüfen.
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Am heutigen Sonntag und dem gestrigen Samstag fand der traditionelle alljährliche Handwerkermarkt statt. Hierfür wurden an vielen Vortagen einige Kilometer Stände auf diesem Markt aufgestellt, die meist aus Holztischen bestanden. Verkauft werden dürfen ausschließlich handwerklich hergestellte Produkte. Natürlich gibt es auch jede Menge Stände für das leibliche Wohl mit vielen Leckeren Sachen. Zu diesem Markt kommen jedes Jahr wieder tausende Besucher mit der ganzen Familie, die nicht nur den Markt besuchen, sondern auch das Museum mit seiner schönen Landschaft, um diese als eine Art Tages- oder Picknick-Urlaub oder zur Entspannung zu nutzen. Entsprechend freundlich und ruhig war auch die Stimmung auf dem Markt. Die Letten sind auch generell ein freundliches, zuvorkommendes Volk, welches sehr offen für Fragen und Gespräche ist – aber dennoch aus der historischen Erfahrung eine gesunde Distanz zu seinem Gegenüber hält.
 
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Beim Gang über den Markt fiel sofort auf, dass das traditionelle Handwerk in Lettland noch ein fester Bestandteil der Bevölkerung ist. Hier werden sehr viele Produkte verkauft, die man hierzulande in Deutschland nicht mehr erwarten würde - wie geschmiedete Äxte mit besonderer Form, Kerzenständer mit Rosen aus Metall, verzierte Türbeschläge, Holzfässer, Badezuber sowie jede Menge selbst gewebte Tücher und Kleider, mit zum Teil den Trachten ähnlichen Stickereien, die von den Lettinnen alltäglich getragen werden.
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Besonders beeindruckend war der Verkauf von Aussteuer-Ausstattung an einigen Ständen. So ließ ich mir von den Verkäufern zweier Stände erklären, dass bei ihnen jährlich nicht nur ca. 500 Webstühle für die Heimarbeit bestellt, sondern fast ebenso viele Aussteuertruhen gefertigt und verkauft werden. Diese Truhen gibt es dann als Brautmitgift bei der Hochzeit – wobei Größe und Verzierung, heute wie damals, der finanziellen Herkunft angepasst werden. Diese Geschichte findet sich auch in der Ausstellung des Museums wieder, in der an vielen Stellen in den Häusern solche Truhen mit typischer Mitgift als Inhalt zu finden sind.
 
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Wir nutzten dabei noch die Gunst der Stunde und trafen uns mit einem Holzbildhauer, der häufiger im Museum arbeitet, auf dem Markt. Hier erfuhren wir, dass er außer viel dekorativen auch immer noch Dinge des alltäglichen Bedarf – vor allem Küchenutensilien - herstellt und vertreibt. Dies konnten wir dann auch gleich im Selbstversuch ausprobieren. Wir machten uns daran einen Holzteller herzustellen.
 
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Unser Hotel lag, im Gegensatz zu dem Museum, genau auf der anderen Stadtseite, sodass wir den Heimweg jeden Tag perfekt für eine Stadtbesichtigung nutzen konnten. Dabei schauten wir uns die Alt- und Innenstadt mit ein paar anderen Museen sowie eines der Großkaufhäuser an. Besonders lohnte sich hier der Besuch der Skylinebar des Radisson Blu Hotel in der Innenstadt, aus der man einen wunderbaren Rundumblick über Riga hat.
 
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Am Montag machten wir uns auf den Weg an die Ostsee nach Jurmala. Dies war vom Hauptbahnhof mit dem Zug am einfachsten, da er die verschiedenen Regionen verbindet. Die halbstündige Fahrt kostete insgesamt nur 2,73€ für beide Strecken. Am Strand der Ostsee war es schon sehr touristisch ausgebaut, wie man es z. B. von den Nordseeinseln kennt, jedoch aber alles etwas feiner, kleiner und nicht so überladen. Auch beschränkt sich dies in einem Land vergleichbar so groß wie etwa Niedersachsen mit nur 2,2 Mio Einwohnern auf den Strandbereich mit einer Einkaufsstraße / Restaurants in Strandnähe. Der übrige Bereich ist schon wieder ländlicher, aber insgesamt eine Urlaubsreise Wert.
 
Wir konnten aber hingegen der Informationen aus dem Museum keine alteingesessenen Handwerksbetriebe mehr finden, da die entweder dem Tourismus weichen mussten oder bereits durch die veränderten Strukturen abgewandert waren.
 
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Für Dienstagvormittag hatte ich ein Treffen mit Armands Liede vereinbart, dem Verbandsvorsitzenden des Lettischen Dachdeckerhandwerks. Wir trafen uns in seinem Betrieb und schauten uns dort zuerst ein von Ihm mitentwickeltes Flachdach- Leckageortungssystem an. Danach saßen wir zusammen und sprachen über Ausbildung und die Entwicklung des Handwerk in Lettland. Ebenso besprachen wir die Möglichkeiten eines Auslandsaufenthaltes von unseren Azubis in Lettischen Betrieben. Hier wurde uns seine Unterstützung bei der Unterbringung und dem Finden geeigneter Betriebe zugesagt. In diesem Gespräch wurde auch klar, dass sich  hierzulande, wie auch bei uns,  mittlerweile ein demographischer Handwerkermangel klar abzeichnet.
 
 
 
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Am Dienstagnachmittag besuchten wir dann Baufachschule in Riga – unsere Partnerschule. Hier trafen wir die Austauschkoordinatorin für Auszubildende und Ihre Kolleginnen. Wir besprachen dabei Schulprojekte beider Seiten und tauschten uns über die gemachten Erfahrungen und Möglichkeiten aus. Dabei wurde uns der Studiengang Restaurator vorgestellt mir derzeit ca. zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die in Gruppen von 3-5 Personen in verschiedenen Bereichen geschult werden wie Holz, Stoffe, Metall und Stein. Dies läuft hier sehr handwerklich und beschaulich ab, wobei sich die Schüler in karg ausgestatteten Werkstätten ihr praktisches Wissen und handwerkliches Geschick selbst erarbeiten müssen. Die Ausbildung / das Studium ist nicht so fundiert und vergleichbar mit einer handwerklichen Ausbildung in Deutschland. Dennoch wird hier viel geleistet und es werden auch öffentliche Gebäude und Träger mit kostenlosen Arbeiten unterstützt, damit Gelder im öffentlichen Bereichen eingespart werden können.
 
 
 
 
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Fazit für die Ausbildung
 
Der zurzeit angewandte Reiseablauf ist ein guter Ansatz für die VETPRO mobility. Hierbei reisen die Auszubildenden erst in ein Privatquartier nach Sigulda, wo sie erstmal Sprachunterricht bekommen und viele Informationen über das Land, Gebräuche und Menschen erhalten. Danach geht es dann, von dort aus, für die weiteren Aufenthaltswochen per Bus  nach Riga in das Museum, wo die Auszubildenden weitere Ansprechpartner und Mitarbeiter erhalten, an deren Seite sie arbeiten. So ist eine ständige Betreuung und Förderung gesichert. Dies sollte auch insgesamt so beibehalten werden, evtl. mit der Möglichkeit ein Quartier näher am Museum zu finden, damit die tägliche, längere Busfahrt abgekürzt werden kann. Sprachlich ist Lettland für deutsche Auszubildende eher kein Problem, da viele Letten Deutsch als Zweit- oder Dritt-Sprache sprechen, es aber selten einsetzen.
 
Geeignet für die Hauptaufgaben-Bereiche der Restauratoren erscheinen besonders Dachdecker, Zimmerer, Schreiner, Stellmacher, Metallbauer, Schmiede, Schneider für die Requisiten sowie Bürokaufleute für die Verwaltung. Bedingt wären leider nur für bestimmte Projekte Maler und evtl. Maurer möglich, was im Vorfeld zu klären wäre, da es sich größten Teils um Holz- und Metall-Verarbeitung handelt.
 
Die gemachten Erfahrungen aus Kultur, Reise, Sprache und Arbeit erhöhen und bereichern die Lernkompetenz der Auszubildenden ungemein. Es ist eine wichtige Erfahrung die Menschen und Kultur vor Ort anzunehmen und sich selber ein Stück weit anzupassen, um den Alltag und die neuen Anforderungen der Arbeit Stück für Stück umsetzen zu können. Es ist auch wichtig und interessant Arbeitsweisen und Ansichten zu erfahren, um daraus Neues für die eigene Arbeit zu lernen. So verbessert man sich dort täglich unbemerkt in größeren Lernschritten als daheim. Dies liegt nicht nur an größerem Interesse sowie Aufmerksamkeit, sondern auch daran gleich dieses Gelernte umsetzen und vor allem selber weiter denken zu müssen - bedingt z. B. durch die Sprachbarriere. So wird der Aufenthalt zu einem Stück Selbsterfahrung, der eigene Schwächen aufzeigt, die es gleich zu überwinden gilt, um in den nächsten Arbeitsschritten weiterzukommen.
 
Mögliche Lernergebnisse werden sein, dass die Auszubildenden eine höhere Bereitschaft haben Verantwortung bei der Arbeit zu übernehmen, neue Aufgaben durch das gestärkte und gewonnene Selbstvertrauen besser umsetzen zu können, ein besseres eigenständiges Arbeiten sowie ordentliche Ergebnisse mit Struktur und Weitblick für nächste Arbeitsschritte in Vorgehensweise und Umgang mit Material und Arbeitseinsatz bekommen.
 
Insgesamt ist das Ethnographische Museum in Riga eine sehr schöne und interessante Umgebung mit vielseitigen Arbeitsfeldern, bei denen die Auszubildenden an vielschichtigen Projekten mitarbeiten können. Dieser Standort und die Beziehung dazu sollten unbedingt ausgebaut werden.
 
Liels paldies sagen möchte ich der Museumsleiterin Una Sedleniece und Ihren Mitarbeitern für die schönen und eindrucksvollen Momente sowie Einblicke und Hintergrundinformationen zu dem Museum, den Menschen und der lettischen Kultur mit ihren vielen interessanten Facetten.
Heiner Lüpkemann & Georg Richter Von der BBS Nienburg - Weser